Die Pfeilspitzüberschreitung

Die Pfeilspitze gehört zusammen der ihr südwestlich vorgelagerten Rotwand wohl insgesamt zu den ungewöhnlichsten und abweisendsten Erscheinungsbildern der Lechtaler Alpen. Bis zu 1000 m fallen die extrem steilen und felsdurchsetzten Grasflanken von dem messerscharfen Verbindungsgrat zwischen beiden Gipfeln in das Lech- und Bschlaber Tal und scheinen von jeder Seite den Versuch einer Besteigung zu verwehren. Und niemand, der mit einem wachen Auge für die Schönheit unserer Bergwelt im Bereich von Elmen im Lechtal unterwegs ist, wird die alpine Großartigkeit dieses prächtigen Ausläufers der Fallerscheingruppe entgehen. Von der Pfeilspitze aus biegt der Grat allmählich nach Nordosten über die mit senkrechten Wänden zum versteckt liegenden Stablsee abbrechende Hochpleis zur Bschlaber Kreuzspitze ab, von wo aus der mächtige Fleckenmergelkamm der Kreuzspitzen nach Norden führt und über den Elmer Muttekopf und Mittagspitz schließlich wieder ins Lechtal absinkt.

Die Überschreitung dieses Kammes von der Rotwand bis zur Elmer Kreuzspitze gehört garantiert zu den lohnendsten und ausgefallendsten, aber auch unbestritten anspruchsvollsten Grattouren dieser Seite. Obwohl die Zugänge und insbesondere die Überschreitung bei weitem nicht so schwer sind wie in den Führerwerken bewertet, so erfordert diese Tour dennoch einen mit sehr steilen Grasplanken vertrauten, absolut trittsicheren Bergsteiger, ausgerüstet mit einer guten Portion Schwindelfreiheit (auch auf längeren Strecken), Orientierungssinn und Kondition. Allen anderen sei diese Tour deshalb warnend widerraten, denn ein einziges Ausgleiten wird in diesem absolut weglosen Steilgrasgelände wohl überwiegend ein sehr tragisches Ende nehmen. Die Mitnahme von Leichtpickel und Grödeln sei auch mit Steilgras weitgehend vertrauten Gehern dringend anzuraten und es versteht sich von selbst, dass solche Touren nur bei absoluter Trockenheit durchgeführt werden sollten. Wer sich den Anforderungen gewachsen fühlt (die Kletterstellen selbst übersteigen den oberen ersten Schwierigkeitsgrad übrigens nicht), der erlebt eine sehr lohnende und alpine Grattour mit herrlichen Tiefblicken und stets hindernisfreien Ausblicken in einer Landschaft, wie man sie am ehesten noch im Bereich der Höfats in den Allgäuer Alpen vorfindet. Leider waren mir insbesondere die Weitblicke wegen niedriger Wolkenfelder verwehrt, das entstandene Fotomaterial hat jedoch dafür eine ganz eigene, stimmungsvolle Atmosphäre bekommen.

Die Tour beginnt mit einem kleinen Schönheitsfehler. Ende dieser Grattour ist der Parkplatz der Stablalpe in Elmen, Startpunkt ist hingegen eine geräumige Parkmöglichkeit zu Beginn des Westrückens der Rotwand. Man erreicht diese, wenn man auf der Straße ins Bschlaber Tal ca. einen halben Kilometer nach Umrundung des Westausläufers der Rotwand vor einem Tunneldurchbruch scharf nach links auf eine steile Forststraße abbiegt. Diese endet knapp 50 hm oberhalb der Fahrstraße mit einer großzügigen Wendemöglichkeit mit genügend Parkmöglichkeiten. Sollten Sie kein zweites Auto zur Verfügung haben, so bleibt Ihnen leider dieser unschöne, insgesamt gut 3 km lange Anstieg auf der Straße mit zusätzlichen 225 hm (+ 1h) nicht erspart, es sei denn, Sie wollen den ersten Abschnitt des Anstiegs auf einer zumindest in meiner AV-Karte eingezeichneten Pfadspur versuchen, welche von Elmen aus über den Köhler Wald hinaufleiten soll. Aber die Existenz dieser Pfadspur ist ungewiss und die 200 Höhenmeter bleiben Ihnen auch auf diese Weise nicht erspart, sodass ich, sofern Sie über keine genaueren Auskünfte zur Existenz dieser Pfadspur verfügen, von dieser Option dringend abrate, denn das Gelände ist hier sehr steil und nicht ungefährlich.

An der Wendeplatte beginnt ein schmaler Pfad mit unbedingt ernst zu nehmenden Warnhinweisschild, welcher steil und teilweise etwas undeutlich, aber stets erkennbar den ungewöhnlich steilen Grasrücken hinaufleitet. An den Lawinenverbauungen halten wir uns stets links auf Trittspuren und erreichen nach 1 ½ bis 2 h Gehzeit eine schmale Ebene, welche in die Nordflanke der Rotwand eingelagert ist. Eindrucksvoll und alles andere als einladend erhebt sich dahinter der ungewöhnlich steile durch zahlreiche Rippen und Rinnen zergliederte Gipfelkörper der Rotwand erhebt. Im Bereich des Westgrats befindet sich ein größeres Latschenfeld, welches sich als schmalen Gürtel in der Nordwestflanke fortsetzt und immer wieder von Rinnen und Rippen unterbrochen wird. Besonders ausgeprägt ist die erste Unterbrechung, eine breite nur mit Gras bewachsene Gasse, welche wenig oberhalb an die untersten steilen Grasschrofen der Rotwand stößt. Hier leitet nach rechts eine nur von wenigen Schrofen unterbrochene Grasrampe zu einer fast völlig felsfreien breiten Grasflanke. Die Grasflanke zieht sich mit zunehmender Höhe immer weiter zusammen und stößt schließlich an die felsigen Aufschwünge eines Vorkopfes innerhalb eines vom Gipfelgrat hinabziehenden Seitengrats. An dieser Stelle verlässt man die freie Grasflanke und quert nach links in das obere Ende einer von unserem Standpunkt aus verdeckten Rinne hinein. Wenn wir uns das eingeprägt haben nehmen wir den nun meines Erachtens anspruchsvollsten Abschnitt dieser Tour in Angriff.

Wie beschrieben weichen wir dem ersten schrofigen Abschnitt nach rechts aus und steigen dann stets die günstigsten Durchstiegsmöglichkeiten nutzend die zunächst immer steiler werdende Grasflanke hinauf. Das Gelände nimmt hier wirklich atemberaubende Steigungsprozente an und wäre das Gras nicht verhältnismäßig gut gestuft, dann wäre diese Flanke für Normalsterbliche nicht mehr zu bezwingen. Das soll keine Verharmlosung sein, jeder Tritt muss hier sitzen und ich war recht dankbar, Grödeln und Pickel mitgenommen zu haben. Im Bereich der ersten kleineren Gesteinseinlagerungen halten wir uns links und queren dann an geeigneter Stelle auf sehr steilen, schrofendurchsetzten Grastritten über eine Rippe hinweg mit aller gebotenen Vorsicht in die bereits erwähnte Rinne hinein. Sie ist unter uns sehr ausgeprägt, verliert aber mit ansteigender Höhe zunehmend an Rinnencharakter. Nach einigen sehr steilen Grastritten um einen Felsabbruch herum folgt ein kurzer mit Erdtritten durchsetzter schrofiger Abschnitt, welcher insbesondere bei eventueller Restfeuchte maximale Vorsicht erfordert (I+). Diese Stelle habe ich persönlich als Schlüsselstelle der Tour empfunden, allerdings bin ich diese Stelle wohl etwas ungeschickt angegangen. Im Anschluss halten wir uns stets leicht links und steigen in der nun wieder durchgehend grasbewachsenen, sehr steilen Flanke bis zum Kreuz am Gipfelgrat auf.

Wer nun meint, dass aufgrund der doch recht krassen Grastreterei die Rotwand ein kaum je besuchtes Gipfelziel darstellt, der wird bei Blick in das Gipfelbuch überrascht sein. Beim zweiten Blick finden sich aber immer wieder Einträge von Wiederholungstätern und es bleibt insgesamt festzustellen, dass die Rotwand nur sehr wenige touristische Einträge enthält. Die meisten stammen von bergerfahrenen Einheimischen. Mit einem kurzen Rundumblick dürfte recht schnell klar sein, dass es nun – mit Ausnahme unserer im Abstieg sicherlich sehr anspruchsvollen Aufstiegsroute – nur noch einen Weiterweg geben kann und schon hier zeigt sich: Es wird schmal und ausgesetzt. Doch erfreulicherweise zeigt sich der Grat als gut gangbar, nur zum Betrachten dieser ungewöhnlichen Umgebung bzw. zum Genießen der fantastischen Rundumsicht muss man stets stehen bleiben, denn links und rechts des Grats kommt nicht mehr viel. Schließlich schnürt sich der Grat vor einer Scharte mit einem wilden, turmgleichen senkrechten Aufschwung auf der anderen Seite sehr schmal zusammen – die klar luftigste Passage dieser Tour. Wir folgen dem Grat noch so lange abwärts, bis nach Norden eine steile, aber trittige Schrofenrinne hinableitet. Sie ist zum Glück trotz des sehr steilen Geländes kaum ausgesetzt und nicht schwieriger als I+. Am Ende der Rinne verfolgen wir mit aller notwendigen Vorsicht ein Erdband zu einer ganz scharfen, nur wenige Meter eingesenkten Einschartung in einem von o.g. Turm herabziehenden Seitengrat und steigen auf der anderen Seite wieder über sehr steile Grastritte hinauf zum Grat.

Es folgt die Königspassage – ein rassiger und genussreicher Gratanstieg zur Pfeilspitze. Über den nach wie vor messerscharfen Grat geht es in schöner Kletterei (I) und steilen Grastrittchen in den Sattel vor der Pfeilspitze und dann auf dem herrlich anmutenden Grat, insgesamt leichter als erwartet, zum exponierten Gipfel der Pfeilspitze. Nur das sicherlich herrliche Panorama war mir nicht vergönnt, dafür gab's einige eindrucksvolle Rückblicke zur wolkenverhangenen Rotwand.
Im nun anstehenden Abstieg zur sogenannten Hochpleis heißt es nochmals Konzentration und Nerven bewahren. Zunächst steigen wir über Grasabsätze und Grasbänder, zunächst ein Stück nach links ausholend, die auffallend rot gefärbten Hornsteinblöcke der Pfeilspitze hinab zu einem kurzen Gratstück. Lassen Sie sich nicht täuschen, der Hornstein gehört trotz seines kompakt wirkenden Erscheinungsbilds zu der brüchigeren Sorte! Das Gratstück – von unserem Standpunkt aus noch nicht einsehbar - bricht kurz darauf mehrere Meter steil und ausgesetzt zum weiterführenden Grat ab (vermutlich bis II+). Wir umgehen die Schwierigkeiten besser durch leicht absteigende Querung in der nordöstlichen (dem Stablsee zugewandten) Grasflanke. Diese Querung ist sehr steil und erfordert große Vorsicht und Konzentration, ist aber durch Hornsteineinlagerungen insgesamt recht gut gestuft. Am Grat angelangt sind die Schwierigkeiten vorbei, jedoch soll folgender Vorfall verdeutlichen, dass es keinesfalls angebracht ist, das Gelände nun leichtfertig zu unterschätzen. Ich stieg nach dem folgenden ebenen Gratstück das kurze Stück in den vorausliegenden Sattel ab, rutschte dann aber auf feuchter Erde unterhalb eines Schneerestes aus und war schon unterwegs zu den nur wenige Meter entfernten senkrechten Abbrüchen zum tief unter mir liegenden Stablsee. Zum Glück kam ich wenige Zentimeter später wieder zum Stillstand.

Stets im Bereich der Grathöhe umrunden wir den Kessel des Stablsees und steigen dann über den Südwestgrat die knapp 200 hm hinauf zur Bschlaber Kreuzspitze mit Kreuz und Buch. Sie bietet einen instruktiven Blick auf die "zwei Seiten" der Namloser Wetterspitze: Von Süden gesehen eine unscheinbare, grasdurchsetzte Geröllabdachung, nach Norden eine senkrechte Felsmauer, welche diesem Gipfel ein markantes und selbst aus großer Entfernung unverwechselbares Gepräge verleiht. Dahinter erhebt sich die riesige Felsmauer der Heiterwand und im Süden und Südwesten bilden die spitzen Hauptdolomitgipfel rund um die Hanauer Hütte eine eindrucksvolle Felskulisse. Imposant und abweisend ragt im Westen über den düsteren Abstürzen zum verborgen liegenden Stablsee die Pfeilspitze auf. Unsere gewählte Abstiegsroute scheint von hier aus gesehen völlig unmöglich.

Auf der Bschlaber Kreuzspitze besteht die theoretische Möglichkeit, auf die weitere Überschreitung über die Mittlere zur Elmer Kreuzspitze zu verzichten und über den markierten Normalweg über den Südostgrat zur Bortigscharte und von dort auf Steigspuren nach Bschlabs abzusteigen. Auch hier müssen Sie ca. 4 km, welche überwiegend auf der Straße zurückgelegt werden müssen, zum "Parkplatz" am Ausgangspunkt zurückkehren. Sie sparen sich jedoch, sofern Sie kein zweites Auto am Parkplatz der Stablalpe abstellen konnten, gut 300 hm ein. Bis zur Elmer Kreuzspitze sind es allerdings auch nur noch ca. 130 hm, sodass die Vollendung der Grattour schon verlockend ist.

Der Übergang zur Elmer Kreuzspitze würde ich insgesamt etwas anspruchsvoller bewerten, als dies in den Alpenvereinsführern den Anschein macht. Man kann hier durchaus von leichterem Ier-Gelände sprechen und die schmale Steigspur sowie der nach Osten bzw. an der Elmer Kreuzspitze auch nach Norden ziemlich heftig abstürzende Grat verlangt sicheren Tritt und eine Grundportion Schwindelfreiheit. Ich muss allerdings hinzufügen, dass wir wegen einigen Altschneeresten im Frühjahr gezwungen waren, die markierte Steigspur zu verlassen, sodass meine Einschätzung u.U. nicht ganz repräsentativ ist. Dieser Hinweis sei an dieser Stelle dem ausdauernden und geübten Bergwanderer gegeben, welcher beispielsweise im Zuge einer Begehung des Anhalter Höhenwegs den Kreuzspitzkamm überschreiten möchte.

In aussichtsreicher Höhenwanderung erreichen wir nach ca. 1 h die Elmer Kreuzspitze und steigen dann stets markiert zunächst über den Nordwestgrat, dann über das freie Gelände der Südwestflanke ab, wobei der steile und stellenweise unangenehm geröllige Steig Kraft und mehr Zeit kostet als erwartet. Am Ende tritt der Steig in den Wald ein und wendet sich an einer links abzweigenden Pfadspur nach rechts, überquert zwei Wasserläufe und leitet dann hoch über dem Tal, zunächst kaum fallen, zur Jausenstation Stablalpe. Nach einer verdienten Stärkung zu übrigens äußerst fairen Preisen folgen wir ein Stück der gemächlich fallenden Zufahrtsstraße und nehmen nach einer markanten Rechtskehre den direkten Abstieg zum Parkplatz der Stablalpe. Auch die Zufahrtsstraße leitet hierher hinab, jedoch holt diese mit ca. 3 km Umweg aus, sodass man von dieser Variante besser nicht Gebrauch machen sollte. Es sei jedoch der Vollständigkeit erwähnt, dass man von der nördlichen 180°-Kehre der Zufahrtsstraße einen sehr schönen Blick auf den Hochvogel hat.

Mein herzlicher Dank geht an meinen Bergfreund Raimund Moll, welcher mir nach einigen löchernden Emails betreffend dieses Vorhabens anbot, diese wunderbare Grattour mit ihm zusammen durchzuführen. Danke, dass du mir diese Tour ermöglicht hast, dieses Bergerlebnis wird mir stets in sehr schöner und eindrucksvoller Erinnerung bleiben. Mit dabei waren auch Adolf, ein Freund von Raimund, sowie Micha welcher mich bei unserer gemeinsamen Tour auf die Wasserfallkarspitze überhaupt erst auf die Pfeilspitze aufmerksam gemacht hat.

Karte

Höhenprofil mit Gehzeiten (ohne Pausen)

Lieber Bergfreund,

bei den auf gipfelsuechtig.de vorgestellten Tourenvorschlägen handelt es sich um außergewöhnlich schöne und spannende Bergfahrten, welche aber mitunter in ihrer Gesamtanforderung als recht anspruchsvoll eingestuft werden müssen. Für eine gefahrlose Nachbegehung sind neben Unternehmungslust und guter Ausrüstung vor allem zwei Dinge von großer Wichtigkeit: Vernunft und alpine Erfahrung. Die jährlich steigende Anzahl teils tödlicher Bergunfälle zeigt, dass viele Bergbegeisterte sich in Ihrem Unternehmungsdrang überschätzen oder dem alpinem Gelände nicht den nötigen Respekt zollen. Besonders erschreckend ist bei näherer Betrachtung, dass es sich hierbei noch nicht einmal immer um besonders anspruchsvolle Touren handelt.

Meine dringende Bitte an Sie ist deshalb: Überprüfen Sie kritisch Ihre Bergerfahrung und lassen Sie bei Auswahl und Durchführung der Touren Vernunft walten. Nicht die schwierigste Tour ist die schönste, sondern jene, welche an Ihre individuelle Bergerfahrung angepasst ist. Es wäre für mich als Autor dieser Seite furchtbar, wenn Ihnen aufgrund meiner Tourenvorschläge etwas zustoßen sollte.

Die Bewertung der Schwierigkeiten auf meiner Seite erfolgt in der Regel sachlich und eher streng, was erfahrenen Gehern die korrekte Einordnung der Anforderungen erleichtern soll. Berücksichtigen Sie bitte, dass sich auch meine leichteren Touren teilweise in alpinerem Gelände mit allen damit verbundenen Risiken bewegen. Eine genauere Einordnung der von mir bei der Tourenbewertung verwendeten Schwierigkeitsskala finden Sie unter "Verschiedenes -> Bewertungen".

Wann immer Sie unsicher sind oder noch Fragen haben: Schreiben Sie mir eine Email oder rufen Sie mich einfach an (siehe Angaben unter "Impressum"). Ich helfe immer gerne weiter! Ich wünsche Ihnen schöne und erfolgreiche Bergtouren.

Boris Stephan (Webmaster gipfelsuechtig.de)

Sie sind über eine Suchmaschine auf diese Seite gelangt? Hier öffnen Sie die www.gipfelsuechtig.de Startseite