Die Bretterspitzüberschreitung mit Gliegerkarspitze

Die Bretterspitze ist der einzige Gipfel im unmittelbaren Hauptkamm der Hornbachkette, welcher verhältnismäßig häufig bestiegen wird. Das liegt vor allem daran, dass der Normalweg über den Nordostrücken durchgehend markiert und bei vernünftigem Verhalten gefahrlos zu begehen ist. Außerdem bietet das Kaufbeurer Haus im Urbeleskar einen willkommenen Stützpunkt für den Wanderer, dem eine Tagesleistung von 1500 Höhenmetern zuviel erscheint. Der Gipfel bietet umfassende Aussicht und ist sogar noch ein paar Meter höher, als der auf der anderen Seite des Hornbachtals majestätisch aufragende Hochvogel.

Trotzdem ist die Bretterspitze kein typischer Modeberg. So wird man auch während der Saison nur mit wenigen Bergwanderern den Gipfel teilen "müssen" und Lagerschlachten, wie sie am Prinz-Luitpold-Haus oder an der Kemptner Hütte an der Tagesordnung sind, gibt es am Kaufbeurer Haus auch nicht. Fernab des Fernwanderwegs E5 kann man hier noch eine Ruhe finden, wie man sie vor vielen Jahrzehnten wohl auch in anderen Gebieten der Allgäuer Alpen vorfinden konnte. Auch der vom Kaufbeurer Haus ausgehende, sehr lohnende Enzensperger Höhenweg hat daran nichts geändert.

Eigentlich ist es alpiner Hochverrat, dass ich mit diesem Tourenbericht auf die Möglichkeit einer Überschreitung der Bretterspitze aufmerksam machen möchte. Ohne Zweifel gehört der Anstieg über den Westgrat zu den lohnendsten, unmarkierten Gratklettereien im Allgäu, wenn man die Schwierigkeit auf II begrenzen möchte. Zudem bietet diese Route den Vorteil, dass die viel seltener besuchte, formschöne Gliegerkarspitze quasi auf dem Weg liegt. Die Tour wendet sich in der Gesamtkonzeption an den erfahreneren Bergsteiger. Die Besteigung des Ostgipfels der Gliegerkarspitze ist hingegen kaum schwieriger als der Normalweg auf die Bretterspitze und ist auch für sich allein ganz besonders lohnend. Der Aufstieg hat aber durchaus alpinen Charakter und sollte deshalb bitte nur von Wanderern angegangen werden, die sich zumindest im leichten Felsgelände wohl fühlen.

Einige hundert Meter nach dem Gasthof Adler biegen wir mit dem Auto nach links ab und queren auf einer Holzbrücke den Hornbach. Wir parken das Auto auf dem hier eingerichteten Parkplatz und wenden uns dem Gatter am Parkplatzende zu. Hinter dem Gatter beginnt rechts eine schmale Weidewiese, hinter der auch gleich der bewaldete Nordhang der Hornbachkette beginnt. Auf den letzten Wiesenmetern erblickt man eine zunächst nicht besonders ausgeprägte, aber klar erkennbare Pfadspur. Sie prägt sich nach wenigen Metern zu einem deutlichen Steig aus und trifft nach ca. 5 Minuten auf den vom Gasthof Adler heraufkommenden Forstweg. Auf der anderen Seite des Forstwegs beginnt dann auch gleich der Aufstieg zum Kaufbeurer Haus.

Dies ist eines der wenigen Hüttenaufstiege in den Allgäuer Alpen, die man als "für sich allein lohnend" bezeichnen kann. Der teilweise lichte Baumbestand bietet zahlreiche Blicke hinab ins Hornbachtal und auf die eindrucksvolle Gebirgslandschaft jenseits des Tals. Die Hochfläche des Großen Wilden im Westen, der fast freistehende Hochvogel im Zentrum und die Dolomitenlandschaft der Rosszahngruppe im Osten bilden ein wirklich eindrucksvolles Panorama. Nach gut 1 1/2 Stunden erreichen wir das unterste Ende des Urbeleskars. Stolz ragen Urbeleskarspitze, Bretterspitze und Gliegerkarspitze hinter dem hier noch stark begrünten Karboden auf. Besonders zur Blütezeit ist der Kontrast aus kargem Fels und der bunten Farbenpracht der Blütenkelche im leuchtend grünen Gras eine wahre Augenweide. Wir erblicken bereits das Kaufbeurer Haus, welches wir nach einer weiteren halben Stunde erreicht haben. Gemütlichere Geher werden insgesamt eine halbe bis ganze Stunde mehr bis hierher einplanen müssen.

Auf der rechten Seite folgen wir dem mit "Bretterspitze" und "Schwärzer Scharte" bezeichnenden Steig. Er führt zunächst mit wenig Steigung den immer karger werdenden Kessel hinauf und schwenkt schließlich nach rechts in das hinterste Becken des Urbeleskars ein. Wir folgen dem Steig so lange, bis er in einer scharfen Linkskehre dem Nordostrücken der Bretterspitze zustrebt. Hier gehen wir auf einer mäßig ausgeprägten Trittspur im Geröll einfach geradeaus weiter und steigen dann auf ihr in wenigen Minuten zur Kammhöhe des Nordostrückens der Gliegerkarspitze auf. Es handelt sich hierbei um einen längst nicht mehr instand gehaltenen Steig, der früher einst das Urbeleskar mit dem Gliegerkar verband. Auf dem Rücken geht es auf fast immer deutlicher Pfadspur hinauf, bis ein kurzer Felsaufschwung kurze Zweifel aufkommen lässt, wohin man sich nun wenden soll. Hier einfach links halten und man erblickt hinter der Ecke einen alten Eisenstift. Es ist der erste einer ganzen Reihe, welche uns in netter Kraxelei bis zum kurzen Aufschwung des Südostrückens der Gliegerkarspitze leitet. Vermutlich befindet sich der einfachste Durchstieg wieder links herum, aber auch der direkte Aufstieg zur Kammhöhe macht bei kurzer Mitbenutzung der Hände keine Probleme (I). Das kleine Eisenkreuz des Ostgipfels ist dann über den gut zu begehenden Rücken schnell erreicht.

Dank ihrer leicht nach Norden vorgeschobenen Lage erwartet uns von hier ein besonders interessanter Rundumblick, welcher nur vom nordwestlich aufragenden Hauptgipfel etwas eingeschränkt wird. Das soll jetzt nicht heißen, dass man da nun unbedingt rüber muss. Für geübte Bergsteiger (und wirklich nur solche!) ist der Übergang dorthin aber durchaus lohnend. Zugegeben, der Grat sieht ziemlich krass aus. Hinter dem senkrecht nach Westen abbrechenden Ostgipfel ragt ein brüchiger Felsturm empor, hinter dem eine auffallend helle, scheinbar dramatisch steil augestellte Platte hervorragt. Dahinter leitet ein zerrissener, blockiger Grat hinauf zum Hauptgipfel. So wild, wie es aussieht, ist es jedoch keinesfalls. Allerdings erfordert der Übergang absolute Vertrautheit mit brüchigen Schrofen, völlige Trittsicherheit auf steilen und ausgesetzten Gerölltritten und etwas Kletterfertigkeit (eine Stelle II).

Zunächst geht man wenige Meter am Gipfel zurück nach Osten und steigt dann nach links (also nach Norden Richtung Urbeleskar) soweit ab, bis man ohne besondere Schwierigkeiten in eine ausgeprägte Schotterrinne gelangt. Sie verläuft unterhalb des senkrechten Abbruchs des Ostgipfels. Wir folgen ihr nur wenige Meter bergab und steigen sofort wieder über ihre rechte Begrenzungsrippe hinweg hinauf zum Grat. Hier steigen wir wieder nach rechts über Schrofentritte hinab, wo man über eine kurze Minirinne in eine steile Geröllrinne gelangt, welche unterhalb des vorhin erwähnten Turms hinableitet.

Wir folgen ihr nicht, sondern steigen gleich unterhalb des Turms über eine Geröllrampe wieder empor. Das sieht aus der Minirinne zunächst etwas wild aus, aber bei näherem Herantreten stellt sich das unter Benutzung der Schrofentritte am linken Rand als verhältnismäßig "gut" begehbar heraus. Man gelangt nun wieder auf die Grathöhe zu der hellen Platte. Was vom Ostgipfel nur für krankhaft veranlagte Extremgängern machbar erscheint, entpuppt sich aus der Nähe als wohl angenehmste Passage des gesamten Übergangs. Die Platte ist nur mäßig geneigt, überwiegend fest und gut zu begehen. Auf ihrer Kante gelangen wir zur kleinen Scharte vor dem letzten Gratabbruch.

Es kommt nun die Schlüsselstelle, welche volle Konzentration (und gute Nerven) abverlangt. Wir umgehen den Grataufschwung hinter dem Schärtchen wieder rechts und gelangen zu einer ersten Möglichkeit, zur Grathöhe aufzusteigen. Es ist ein splittriger Aufschwung mit kantig hervorstehenden Platten. Ich würde von dieser Möglichkeit besser abraten. Stattdessen folgten wir einem sehr schmalen Band auf ausgesetzten und etwas heiklenTritten weiter unterhalb der Grathöhe, bis man zu einem gut brusthohen, kantigen Block gelangt. Er ist vermutlich leicht zu erklettern, doch muss man hierzu zunächst auf wenig vertrauenserweckenden Gerölltritten wenige Schritte nach links queren. Da hier ein Ausgleiten garantiert tragisch enden würde, ist es besser, weiter dem nun etwas breiteren Band um einen Vorsprung zu folgen. Hier gelangt man zu einem Geröllabsatz, der einem nun die nötige Sicherheit bietet, in kurzer Kletterei zur Grathöhe aufzusteigen (II). Der übermannshohe Aufschwung bietet genügend Tritte und Griffe, welche aber allesamt nicht zuverlässig sind. Auf dem Grat geht es dann ohne Probleme über blockige Stufen zum Gipfel. Wenn man trittsicher ist und die Route kennt, dauert der Übergang vermutlich nur wenige Minuten. Vorsichtigere Kandidaten (wie ich) sollten sich Zeit lassen und mit einer halben Stunde kalkulieren. Vorsicht ist hier allemal angebracht. Die schwierigste Stelle ist die Querung auf dem Band (speziell auf dem Rückweg), nicht die Kletterei zur Grathöhe.

Erwartungsgemäß bietet der Hautgipfel eine noch schönere Rundumsicht. Wir blicken nach Osten auf den niedrigeren Ostgipfel mit dem steilen Abbruch und auf die dahinter aufragende Bretterspitze mit ihrem scharfen Westgrat, den wir später begehen wollen. Drohend und abweisend zeigt sich im Osten die Urbeleskarspitze. Im Westen schweift der Blick über die Wolekleskarspitze, Sattelkarspitze, Noppenspitze und Kreuzkarspitze hinweg bis zum schön geformten Gipfelpaar der Öfner- und Krottenspitze. Der grüne Zug vom Kreuzeck zum Rauheck, die faszinierende Felsenlandschaft der Wilden- Hochvogel- und Rosszahngruppe bieten wie von allen Gipfeln der Hornbachkette einen faszinierenden Anblick. Nach einer genussreichen Gipfelrast steigen wir vorsichtig zum niedrigeren Ostgipfel zurück.

Kommen wir zum alpinen Highlight dieser Tour, dem Westgrat der Bretterspitze. Ich wäre wohl kaum auf die Idee gekommen hier aufzusteigen, hätte ich nicht bei meiner Tour über den Sorgschrofen einen bergbegeisterten Hindelanger getroffen, der mir diese Route ans Herz legte. Auch der Erstbesteiger Hermann von Barth hielt die Begehung des Grats für kaum möglich. In meinem älteren AVF war der Grat noch mit "teilweise brüchig" und II beschrieben. Auf der Rother-Seite wurde das "brüchig" revidiert, dafür soll es ausgesetzt und II sein. Beide Umschreibungen sind meines Erachtens nicht exakt zutreffend. Es gibt eine ziemlich anspruchsvolle Stelle im oberen Gratabschnitt (vermutlich III), welcher man aber problemlos ausweichen kann. Der Fels ist überraschend fest und sehr griffig, der Grat an ein paar wenigen Stellen luftig, aber für Schwindelfreie nicht wirklich ausgesetzt. Der Grat schwingt sich in vielen kürzeren Stufen auf, welche bei idealer Route nicht schwieriger als I+ sind. Ich möchte die Route keinesfalls verharmlosen, doch steht sie im überraschenden Gegensatz zu dem, was man nach Rückkehr vom Hauptgipfel der Gliegerkarspitze beim Anblick des Grats erwarten würde. Wer also etwas Übung und Klettererfahrung hat, der sollte sich diesen ungewöhnlich lohnenden Grataufstieg nicht entgehen lassen.

Zunächst geht es ohne sonderliche Schwierigkeiten auf dem gerölligen Schrofenrücken zum Sattel zischen Gliegerkarspitze und Bretterspitze hinab. Wir erklettern die ersten Stufen in hübscher Kraxelei unmittelbar auf der Grathöhe. Hier sollte man an einer etwas steileren Stufe nicht in Versuchung kommen, den Aufschwung auf einem schmalen Band in der Südseite umgehen zu wollen. Dies gilt hingegen nicht für eine besonders ausgeprägte, beinahe senkrechte Steilstufe im letzten Drittel. Sie kann zwar ebenfalls von sicheren Kletterern bezwungen werden, doch bietet sich hier eine Umgehung in der Südflanke an. Auf breitem Schotterband steigen wir ein paar Meter in die Südflanke hinaus (leicht abschüssig), bis auf rechter Seite eine wenig ausgeprägte Schrofenrinne wieder den Anstieg zur Grathöhe ermöglicht. Man gewinnt den Grat in einer vom Gelände vorgegebenen Linkskehre. Dann steigt man etwas luftig auf einen Felskopf zu, der in schöner Kletterei rechts herum in einer kurzen Rinne und einem darauf folgenden Band in der Südflanke umgangen wird. Dann sind es nur noch wenige Meter bis zum kreuzgeschmückten Gipfel.

Am Gipfel war die Begeisterung groß über diese wunderschöne Route. Auch ein Abstecher auf die etwas höhere, westliche Gipfelkuppe lohnt. Von hier hat man einen schönen Rückblick auf die Gliegerkarspitze und auf unsere soeben bewältigte Aufstiegsroute. Die Urbeleskarspitze zeigt sich hier von ihrer schönsten und abweisendsten Seite. Wunderschön sind die Blicke hinab ins Lechtal und auf die jenseits aufragenden Lechtaler Alpen.

Nach genussreicher Rast steigen wir auf der markierten Normalroute über den Nordostrücken ins Urbeleskar ab. Sie sollten nicht versäumen, hier an passenden Stellen einen Blick zurück auf den markanten Westgrat der Bretterspitze zu werfen. Kaum zu glauben, dass man hier hinaufgekommen ist. Zurück zum Parkplatz über das Kaufbeurer Haus, wie im Aufstieg beschrieben.

Übrigens: Für Wanderer ohne Kletterambitionen ist auch der Normalweg auf die Bretterspitze durchaus lohnend, besonders auch in Verbindung mit dem Ostgipfel der Gliegerkarspitze! Allerdings muss man bei dieser Variante 200 Höhenmeter mehr einplanen, was dann wohl nur für besser Konditionierte oder in Verbindung mit einer Übernachtung auf dem Kaufbeurer in Frage kommt.

Karte

Höhenprofil mit Gehzeiten (ohne Pausen)

Lieber Bergfreund,

bei den auf gipfelsuechtig.de vorgestellten Tourenvorschlägen handelt es sich um außergewöhnlich schöne und spannende Bergfahrten, welche aber mitunter in ihrer Gesamtanforderung als recht anspruchsvoll eingestuft werden müssen. Für eine gefahrlose Nachbegehung sind neben Unternehmungslust und guter Ausrüstung vor allem zwei Dinge von großer Wichtigkeit: Vernunft und alpine Erfahrung. Die jährlich steigende Anzahl teils tödlicher Bergunfälle zeigt, dass viele Bergbegeisterte sich in Ihrem Unternehmungsdrang überschätzen oder dem alpinem Gelände nicht den nötigen Respekt zollen. Besonders erschreckend ist bei näherer Betrachtung, dass es sich hierbei noch nicht einmal immer um besonders anspruchsvolle Touren handelt.

Meine dringende Bitte an Sie ist deshalb: Überprüfen Sie kritisch Ihre Bergerfahrung und lassen Sie bei Auswahl und Durchführung der Touren Vernunft walten. Nicht die schwierigste Tour ist die schönste, sondern jene, welche an Ihre individuelle Bergerfahrung angepasst ist. Es wäre für mich als Autor dieser Seite furchtbar, wenn Ihnen aufgrund meiner Tourenvorschläge etwas zustoßen sollte.

Die Bewertung der Schwierigkeiten auf meiner Seite erfolgt in der Regel sachlich und eher streng, was erfahrenen Gehern die korrekte Einordnung der Anforderungen erleichtern soll. Berücksichtigen Sie bitte, dass sich auch meine leichteren Touren teilweise in alpinerem Gelände mit allen damit verbundenen Risiken bewegen. Eine genauere Einordnung der von mir bei der Tourenbewertung verwendeten Schwierigkeitsskala finden Sie unter "Verschiedenes -> Bewertungen".

Wann immer Sie unsicher sind oder noch Fragen haben: Schreiben Sie mir eine Email oder rufen Sie mich einfach an (siehe Angaben unter "Impressum"). Ich helfe immer gerne weiter! Ich wünsche Ihnen schöne und erfolgreiche Bergtouren.

Boris Stephan (Webmaster gipfelsuechtig.de)

Sie sind über eine Suchmaschine auf diese Seite gelangt? Hier öffnen Sie die www.gipfelsuechtig.de Startseite